Rache ist weiblich oder: die getäuschte Liebevon Maja Langsdorff
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Komm ´rein. Es war ein kühler, seltsamer
Empfang. Er hat Arbeit, anstrengende Arbeit entschuldigte sie ihn.
Und sie brachen auf in diese schäbige, verrauchte Kneipe. Sie saßen
sich gegenüber wie zwei Fremde. Er kalt, abweisend. Sie hilflos,
verzweifelt. Und plötzlich erinnerte sie sich an jenen Abend in
ihrer einstigen Stammkneipe. Was war denn los mit euch, hatte
sie der Wirt beim nächsten Besuch gefragt, was war denn das für
ein Typ? Ihr habt ausgesehen wie vierzig Jahre verheiratet. Sie
hatte es verdrängt. Er beteuerte doch wieder und wieder, wie sehr er
sie liebte, und dass es nur eine Frage der Zeit sein würde ...
Hab Geduld, mein Häschen.
Heute war sie nicht Häschen, Bärchen, Liebes. Sie
verließen das Lokal, und sie hoffte noch immer auf ein klärendes
Wort, auf eine versöhnliche Geste. Er schleuste sie wie eine
verbotene Ware in sein Appartement, verzichtete auf Licht im
Treppenhaus. Es sind ja nur ein paar Schritte, lohnt sich doch
nicht.
Gewalt, Gewalt - er hat mich vergewaltigt,
dröhnte es Stunden später in ihrem Kopf. Was ist mit dir?,
hatte sie gefragt. Er hatte gebrummelt: Ich bin müde,
gehen wir ins Bett. Kaum hatte sie, Nähe suchend, nach seiner
Hand gegriffen, wälzte sich ein schwerer, schwitzender Körper über
sie, nahm sie in Besitz, presste sie mit rhythmischen Bewegungen in
die Matratze, keuchte und stöhnte über ihr. Sie spürte Brechreiz und
würgte.
Du liebst mich also noch?, fragte sie bitter
danach. Das war's doch wohl, was du wolltest, oder?
Die Frau war fassungslos. Das nennst du Liebe?
Er drehte sich weg. Du kotzt mich an mit deinem Liebesgedöns. Das
mit uns ist doch längst passé, begreif es doch endlich. In
dieser Nacht erfuhr sie, dass er längst eine andere hatte, kennen
gelernt in der letzten Kur, dass er natürlich wieder mit seiner Frau
schlafe. Natürlich. Dass er sie, seine Frau, liebe. Sie ist die
Mutter meiner Kinder.
Es war Nacht. Die Frau saß noch immer am Tisch,
leer das Glas und leer die Tablettenschachtel. Leer sie selbst, und
doch von grenzenloser Ruhe erfüllt. Sie würde es überleben. Jetzt
nur schlafen, schlafen, schlafen. Irgendwann würde sie aufwachen und
sie anrufen. Sie, die andere Betrogene. Endlich spürte sie wieder
Nähe. Nähe zu einer Frau, die sie nicht kannte, die sie noch nicht
kannte. Es war Seine Frau.
Es war Abend. Sechzehn Jahre waren vergangen. Die
Frau saß noch vor ihrem Computer, als das Telefon klingelte.
Erinnern Sie sich an mich? Der Frau fiel ein
Foto ein, darauf zwei Jungen in kurzen Hosen. Er war der Kleinere
gewesen. Sie hatte seine Kinder nur einmal im Leben gesehen,
damals, als sie Ihn heimlich im Garten besucht hatte. Ich stell
dich nicht vor, sonst erzählen die Jungs ihrer Mutter später nur was
Dummes.
Erinnern Sie sich wirklich nicht? Ich war zwar
klein, aber dumm war ich nicht. Doch, sie konnte sich dunkel
erinnern. Der Junge war inzwischen fast 30, hatte sich mit Jobs über
Wasser gehalten. Seine Leidenschaft war die Musik, seine Band.
Morgen? Sie spürte
den Drang, ja zu sagen, gegen alle Vernunft. Nein, sagte sie,
morgen geht es nicht. Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit.
Sie lebte in einer anderen Wohnung, mit einem anderen Mann, in einer
anderen Welt.
Dann nächste Woche? Ich möchte Sie gern kennen
lernen. Die Frau sagte ja und zweifelte an ihrem Verstand.
Vielleicht ist es ein Verrückter.
Fast wäre sie wieder gegangen. Sie wartete in dem
Bierlokal, fühlte sich an dutzendfaches Warten erinnert, wollte
nicht wieder, wollte nicht länger warten. Trotzdem wartete sie,
wartete wie damals. Zwanzig Minuten zu spät kam er auf sie zu.
Weniger als drei Stunden reichten, um bei der
Frau die letzte Illusion zu zerstören.
Der Sohn war auf der Suche.
Ein Vater – was ist ein Vater? Sein
Sohn fragte seine Frau. Der Sohn war verzweifelt. Seine
Frau schickte seinen Sohn zu einer Frau, die sie nicht
kannte, die sie immer noch nicht kannte, nur einmal im Leben am
Telefon gesprochen hatte. Damals hatte sie Nähe gespürt.
Er war ihm nie ein
Vater gewesen.
Er hatte ihn nie gelobt.
Er hatte ihn
nicht einmal wahrgenommen. Nicht ihn, nicht seinen Bruder. Das Geld
für den Garten hatte er nicht aufgebracht.
Er hatte sie alle betrogen.
Teil 1 |
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Foto: Konstantin Gastmann
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