Denn Liebe ist stark wie der Tod. Lianes Geschichte
von Andersdenkende
Teil
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Ihr Geiger behandelte Liane zunehmend schlechter. Er kam und ging, wann es
ihm passte, oft meldete er sich tagelang nicht, und bei den Treffen kam es
meistens nur noch zum Sex, viel Drumherum fand nicht mehr statt.
Liane, in ihrer Liebe und Abhängigkeit, tat etwas sehr Dummes: Um mehr
„Nähe“ zu schaffen, wohl auch, um ihm klarzumachen, wie sie fühlte, hatte
sie ihm ihr Tagebuch gegeben. Er hatte es gelesen, kannte nun ihr komplettes
Inneres und die Art, wie sie „tickte“, und hatte nun leichtes Spiel, sie zu
manipulieren. Er gab zum Beispiel kurzerhand Lianes Träume als seine eigenen
aus. Liane berichtete begeistert davon: „Wir liegen total auf einer
Wellenlänge! Er fühlt und empfindet wie ich, das ist Schicksal, wir sind
seelenverwandt!“
„Liane,“ knurrte ich, „Er hat dein Tagebuch gelesen und kennt dich in- und
auswendig. Gib mir auch dein Tagebuch, und ich zeige dir mal, wie ungeheuer
seelenverwandt wir zwei beide sind!“
- Es war sinnlos. Liane hörte nur noch, was sie hören wollte. Sie hörte auch
auf ihn, wenn er ihr erklärte, welche Freunde es „gut“ und welche es
„schlecht“ mit Liane meinten. Vermutlich auch aus ihrem Tagebuch, vielleicht
aber auch aus ihren Erzählungen wusste er, welche Freunde Liane von ihm
abgeraten hatten. Ich hatte Glück: Da ich im Gegensatz zu manch anderem, der
offen ausgesprochen hatte, dass er den Kerl für ein Charakterschw*** und ein
A***loch hielt, mich zurückhaltender gegeben hatte, blieb ich Liane
erhalten. Mit vielen anderen brach sie den Kontakt tatsächlich kurzerhand
ab, weil diese ihr angeblich ihre Liebe „nicht gönnten“.
So nach und nach zogen sich aber auch andere der alten Freunde zurück. Liane
hatte angefangen, grundlos aggressiv zu werden, sie war reizbar und ging
schnell an die Decke. Wegen Nichtigkeiten brach sie auf einmal Streit vom
Zaun, und dass die Leute das nur eine beschränkte Zeit mit sich machen
ließen, war klar.
Gegen ihren Geiger durfte ohnehin keiner mehr etwas sagen. Wir sahen alle,
wie diese „Liebe“ Liane von innen heraus zerfraß, wie sich unsere Freundin
kaputtmachte, wie sie kaum noch essen und nur noch wenig schlafen konnte,
aber wir konnten nichts tun – das war das Schlimmste.
Zu diesem Zeitpunkt ging die Beziehung der beiden ungefähr zwei Jahre.
Dann machte Liane Examen, ein Prädikatsexamen trotz der psychischen Krise,
in der sie sich befand, und begann zu arbeiten.
Ich persönlich hoffte, dass sie nun, wo sie in andere Kreise kam und
tagsüber durchgehend beschäftigt war, auf andere Gedanken kommen würde.
Vielleicht würde es ihr nun gelingen, den nötigen Abstand zu finden und sich
aus ihrer selbstzerstörerischen Beziehung zu lösen.
Das Gegenteil war der Fall.
Nun, da sie nicht mehr ständig für ihn „parat“ sein konnte, befand sich
Liane in einem ständigen Zustand nervöser Überreizung. Sie machte Fehler im
Beruf, kassierte eine Abmahnung, ließ sich krankschreiben.
Zuhause lag sie auf dem Bett und tat stundenlang nichts anderes, als vor
sich hinzustarren.
Wenn das Telefon klingelte, sprang sie wie elektrisiert auf – ER könnte es
ja sein. Freunde und Verwandte, wenn sie denn anriefen, wurden kurz
abgebügelt; sie sollten die Leitung freimachen, Liane erwarte einen
wichtigen Anruf.
Von Lianes großem Freundeskreis und ihrem sozialem Umfeld waren inzwischen
nur noch drei Leute übrig geblieben: Ihre beste Freundin, ihre Schwester,
und ich. Mit ihren Eltern hatte sich Liane wegen ihres Geigers nachhaltig
verkracht (die Eltern hatten es doch wahrhaftig gewagt, zu sagen, dieser
Mann würde Liane „ausnutzen“ und ihr „schaden“), die restlichen Freunde
waren vergrault oder abgewiesen worden.
Dass Liane nach ihrem Examen nichts von dem versprochenen Geld für ihre
eigene Firma gesehen hat, habe ich ja schon erwähnt. Es kam aber noch
besser: Auf einmal pumpte Lianes Geiger sie an. Seine Geschäfte würden zur
Zeit schlecht laufen, ob sie ihm mit einem bisschen Bares aushelfen könnte?
– Liane griff tatsächlich ihre Ersparnisse an und lieh ihm 5000 DM. Er
zahlte ihr das Geld natürlich nie zurück, im Gegenteil, er kam noch einmal
und wollte noch mehr, woraufhin sie ihm weitere 3000 DM gab. Fast schien es
mir, als müsse Liane so handeln, als müsse sie ihm auch diese Summe geben,
denn wenn sie nein gesagt hätte, hätte sie ja vielleicht vor sich selbst
zugeben müssen, dass sie nicht daran glaubte, dass er ihr die ersten 5000 DM
wiedergeben würde...
So zog jeder Fehler einen weiteren nach sich.
Ich hatte meine Freundin nach ihrem Arbeitsbeginn ein paar Wochen lang nicht
gesehen. Als ich sie nun wieder besuchte, erschrak ich, wie sehr sie sich
weiter verändert hatte.
Dass Liane sich auf einer Spirale abwärts befand, war inzwischen auch
körperlich nicht mehr zu übersehen. Schlank war sie immer schon gewesen, nun
aber war sie regelrecht abgemagert. Sie hatte keinen Glanz mehr in den
Augen, und ihre zuvor immer leicht gebräunte Haut sah blass und fahl aus.
Es geht mir gut, es geht mir gut,“ wehrte sie ab, „Es ist alles ok, nur die
Arbeit ist stressig.“ (Liane hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Wochen
nicht mehr gearbeitet und war weiter krankgeschrieben.)
Sie wich mir auf viele Fragen aus und schien abwesend mit ihren Gedanken.
Ich bemühte mich, so zu tun, als würde ich ihren Erklärungen Glauben
schenken, und erwähnte ihren Geiger gar nicht. Sie war es, die mitten im
Gespräch auf einmal ohne jeden ersichtlichen Grund zu weinen anfing.
Ich habe sie im Arm gehalten, und es war unübersehbar, wie schlecht es ihr
ging.
„Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll,“ schluchzte sie, „Manchmal will ich
nur noch, dass alles vorbei ist, egal wie.“
„Kannst du es denn nicht beenden? Ihm sagen, dass du das nicht mehr willst,
und dass es vorbei ist?“
„Ich schaffe es nicht,“ flüsterte Liane, „Ich habe es schon so viele Male
versucht, aber aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, ich brauche ihn!
Ich sterbe, wenn ich nicht mit ihm zusammen sein kann!“
„Ich mache mir mehr Sorgen darum, dass du stirbst, wenn du es nicht
schaffst, diese Beziehung zu beenden,“ sagte ich (wenn ich heute daran
denke, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter... aber ich habe das damals
tatsächlich gesagt). „Liane, ich habe Angst um dich!“
Sie sagte nichts mehr, weinte nur noch.
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Foto: timnewman
istockphoto.com
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