Wie man Liebe erhält

von Andersdenkende
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Ich erzähle euch mal wieder von meinem Liebsten, dem besten aller Ehemänner ;-): Er hängt sehr an seinem Beruf, ist voller Begeisterung bei der Sache und ständig am Arbeiten. Sogar am Wochenende bringt er irgendwelche Akten mit nach Hause und macht privat noch alles mögliche nebenbei. Die enthusiastische Begeisterung, mit der er über seinen Aktenbergen brütet, vermisse ich aber kläglich, wenn es zum Beispiel darum geht, dass er den Müll runter bringen soll.
Und nun? Nun kann ich mich aufregen. Ich kann zornig sein und schimpfen und toben und Streit anfangen. Oder aber ich rege mich nicht auf und warte einfach ab. Irgendwann, spätestens, wenn er die nächste Kaffeepause einlegt, wird er sich an meine Bitte erinnern und den Müll dann schon runter bringen. Schließlich habe ich gewusst, dass ich einen Workaholic heirate, und wenn ich ehrlich bin, war doch auch gerade seine Zielstrebigkeit, seine Ernsthaftigkeit in allen wichtigen Dingen eine der Eigenschaften, die mich angezogen haben. Und schließlich zeigt er eben diese Zielstrebigkeit und Ernsthaftigkeit auch in der Partnerschaft, in allen Belangen unserer Ehe. Ist das nicht viel wichtiger als der Müll, im wahrsten Sinne des Wortes?

Zweites Beispiel, brandaktuell, von heute:
Es ist Samstagmorgen, leichtes Nieselwetter, so richtig schön, um im Bett zu bleiben, auszuschlafen, nachher gemütlich miteinander zu frühstücken, zu faulenzen...
Sechs Uhr morgens, ich bin noch im Tiefschlaf, auf einmal brüllt der Wecker los, Männe springt aus dem Bett, zieht sich an, fängt an, wild mit Transparenten und Plakaten zu rumpeln. Ich sitze mit einem Riesenschrecken aufrecht im Bett, dann fällt mir düster wieder ein, richtig, irgendwas war heute, muss er nicht wieder die Wale retten gehen? Nein, halt, das war letzten Monat, heute ist es was anderes.
Kein gemeinsames Frühstück, keine Faulenzerei, kein Kuscheln, kein Ausschlafen, nur ein liebes Küsschen, ein nettes "Schlaf ruhig noch ein bisschen", und dann ist Männe weg, auf dem Weg in die Fußgängerzone, Stand aufbauen, Unterschriftensammlung gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran.
Und ich liege hier, bin schlecht aufgewacht, einsam und habe mindestens vier Waschladungen Wäsche vor mir, bei denen mir keiner hilft.

Und nun? - Nun hätte ich toben, schreien, zornig sein können. Ich hätte ihm eine Szene machen können, ihm vorwerfen, dass ihm alles andere wichtiger ist als ich, hätte die üblichen Totschlag-Sätze aussprechen können in der Art von "IMMER machst du das, IMMER lässt du mich alleine, NIE hast du Zeit für mich, du liebst mich NICHT, denn sonst würdest du...". Ich hätte frustriert sein können, mich vernachlässigt fühlen können.
Was habe ich stattdessen gemacht?
Mir bewusst gemacht, dass das der Mann ist, in den ich mich verliebt habe. Dass es diese Eigenschaften sind, für die ich ihn bewundere, sein Engagement, seine Hilfsbereitschaft, sein Verantwortungsbewusstsein auch gegenüber anderen. Habe mich daran erinnert, wie toll ich es immer fand, dass ihm seine Mitmenschen nicht egal sind, dass er bereit ist, viel Energie und Zeit in das zu stecken, woran er glaubt.
Und dass all dies Wesenszüge an ihm sind, die ich liebe.

Also habe ich erst mal noch zwei Stunden geschlafen, bin dann gut gelaunt aufgewacht. Habe in aller Ruhe Kaffee getrunken, dazu meine Musik gehört, die ihm nicht gefällt und die ich sonst aus Rücksicht auf ihn beim Frühstück nicht auflege. Ich konnte mir endlich diese grauenhafte grüne Gurkenmaske ins Gesicht schmieren, da mich nun ja keiner sieht, und ich habe die freie Zeit genutzt, mal wieder ein Posting für euch zu schreiben - Zeit, die ich normalerweise nicht gehabt hätte. Im Keller rumpelt gerade die zweite Wäscheladung durch, die erste hängt schon auf der Leine.
Später werde ich ein halbes Dutzend Thermoskannen Kaffee kochen, einen Stapel belegter Brote richten und mich auf den Weg in die Fußgängerzone machen, meinen Liebsten und seine Mitstreiter überraschen.
Vielleicht ist mein Mann dann gerade im Gespräch mit einem unentschlossenen Passanten, so vertieft, dass er mich nicht gleich bemerkt, und ich kann ihn ein bisschen anschauen und beobachten dabei. Ich werde seine Begeisterung sehen und seinen Einsatz, seine Überzeugungskraft und seinen Willen, etwas zu bewegen. Und ich werde verdammt stolz auf ihn sein...

Mindestens einer der Mitstreiter wird mal wieder genießerisch meinen Kaffee schlürfen, es super finden, dass ich meinem Liebsten keinen Stress mache wegen des verlorenen Samstags, stattdessen selbst noch vorbeikomme, er wird sehnsüchtig dreinschauen und zu meinem Mann sagen, dass er eine tolle Frau hätte.
Mein Mann wird den Arm um mich legen und vor Stolz strahlen.
Vielleicht werde ich ein bisschen mithelfen beim Unterschriftensammeln, werde mich mal wieder einmischen und mich unbeliebt machen bei haufenweise vorbeieilenden Leuten. Vielleicht wird mir wieder jemand an den Kopf knallen, das ihn das alles nicht interessiert und nicht betrifft und dass das ein gesellschaftliches Problem der anderen ist. Und ich werde ihm dann erklären, dass es "die anderen" nicht gibt, und dass die Gesellschaft immer WIR sind.
- Mal schauen, wie es abgehen wird!
Jedenfalls werden wir hinterher noch den ganzen Samstagabend für uns haben, und morgen dann einen wunderschönen Sonntag.
Und ob man nun den Samstag- oder den Sonntagmorgen im Bett verbringt, ausschläft, faulenzt, kuschelt, frühstückt. schmust...
... das ist doch eigentlich so was von egal, oder? :-)

Alle guten Wünsche,
vergesst nicht, euer Herz anzustupsen,
damit die Schmetterlinge wieder fliegen :-)
und lest die Überschrift zu diesem Posting
ruhig in doppeltem Sinne,
so ist sie auch gedacht...;-)

Alles Liebe wünscht euch
die Andersdenkende

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Foto: Sven Brentrup  aboutpixel.de