Denn Liebe ist stark wie der Tod. Lianes Geschichte

von Andersdenkende
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Mitten im Gespräch, das zunächst gut lief, merkte ich plötzlich, dass Liane mir entglitt, dass ihre Stimmung erneut umschlug.
Auf einmal wurde sie aggressiv, befahl mir, mich aus ihren Angelegenheiten herauszuhalten.

Sie warf mir plötzlich an den Kopf, ihr ihr Glück nicht zu gönnen und neidisch auf ihre Beziehung und ihren Freund zu sein. Sie schrie mich an, dass ich selbst nicht wüsste, was Liebe sei, dass ich meinen Mann in Wirklichkeit gar nicht lieben würde und ihn nur aus Konvention geheiratet hätte. Ich sei nicht in der Lage, wahre Gefühle für einen anderen Menschen zu empfinden, und aus diesem Defizit heraus sei ich eifersüchtig und würde versuchen, ihr das eigene Glück madig zu machen.
Es kam zu einer furchtbaren Szene zwischen uns.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen und bin irgendwann nach Hause geflüchtet.

Ich brauchte etwas Zeit, um diesen Tag zu verarbeiten. Liane hatte mich sehr verletzt und mir weh getan – aber ich wusste, dass ich, wenn es mir wirklich um meine Freundin ging, jetzt nicht stolz sein durfte, dass ich vielmehr über meinen eigenen Schatten springen musste.

Ich rief sie deshalb nach ein paar Tagen als erste wieder an.
Liane war unterkühlt, verschlossen. Sie wollte weder über den Streit, noch über sonst irgend etwas mit mir sprechen. Als erstes forderte sie eine Entschuldigung von mir, die ich ihr auch gab. Trotzdem taute sie im Verlauf des Gesprächs nicht auf; sie hatte die Schotten endgültig dichtgemacht, ich hatte keine Möglichkeit mehr, an sie heranzukommen.

Wir trafen uns noch ein-, zweimal, eher zufällig und zwischen Tür und Angel, und ich habe sie noch einige Male angerufen. Aber es tat sich nichts mehr, Liane war mir fremd geworden, sie hatte sich von mir und allen anderen entfernt und lebte wie auf einem anderen Stern.

Dann, vielleicht eine Woche später, ging auf einmal niemand mehr ans Telefon bei Liane. Ich wurde nervös, fuhr zu ihrer Wohnung, niemand öffnete.
Ich rief alle alten Freunde an, niemand wusste etwas.
Inzwischen machte ich mir die allergrößten Sorgen, als es mir nach ein paar Tagen gelang, eine Nachbarin aus Lianes Haus zu finden, die mir erzählte, was passiert war.

Liane war abgehauen. Mit ihrem Geiger ins Ausland.
Ein paar Tage nach unserem Krach hatte sie sich auch noch endgültig mit ihrer Schwester überworfen.
Daraufhin hatte Liane fristlos ihre Arbeitsstelle gekündigt, hatte ein paar Sachen gepackt, keinem Bescheid gesagt außer den Leuten in ihrem Haus, und war gegangen.

Wo genau sie steckte, wusste niemand, auch die Schwester und die Eltern nicht, mit denen ich Kontakt aufnahm. Es gab keine Möglichkeit, Liane zu erreichen oder ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Die Eltern versuchten alles, ihre Tochter zu finden, aber große Chancen hatten sie nicht, da Liane volljährig war und demnach frei entscheiden konnte, wohin sie ging und wo sie leben wollte.
Liane blieb verschwunden, und wir wussten nicht, ob wir überhaupt noch einmal etwas von ihr hören würden.

Drei Jahre lang.
Dann auf einmal, vor etwas über einem halben Jahr, bekam ich eine Postkarte.
Sie war von Liane, in Deutschland aufgegeben und in Deutschland abgestempelt.
Es stand nicht viel darauf, nur „Bitte melde dich bei mir“, und die Telefonnummer von ihren Eltern zuhause.

Liane war wieder da!
Ich rief sofort bei ihren Eltern an.
Die Mutter ging ans Telefon. Sie hatte die Stimme einer Frau, die unendlich viel geweint hatte.
„Liane ist im Krankenhaus,“ sagte sie mir, „Sie würde sich sehr freuen, wenn Sie kämen.“

Ich fuhr hin. Zunächst traf ich mich mit der Mutter, die mir erzählte, was in den drei Jahren geschehen war, in denen Liane bei ihrem Geiger im Ausland gelebt hatte.

Nachdem Liane hier alle Zelte abgebrochen hatte, waren die beiden ins Ausland geflogen. Er hatte dort selbstverständlich bei seiner Frau und seiner Familie gewohnt; Liane hatte er bei „Freunden“ untergebracht. Als Gegenleistung für Kost und Logis führte Liane den „Freunden“ den Haushalt. Die restliche Zeit hatte sie damit verbracht, auf ihn zu warten, sich nach ihm zu sehnen, sich zu verzehren. Stundenlang hatte sie auf der Liege in ihrem kleinen Zimmer gelegen und die Decke angestarrt, denn sie hatte dort ja keine Ablenkung, keine Freunde, keine richtige Arbeit, nichts, was sie gestützt und ihr Halt gegeben hätte. Sie war vollkommen abhängig von IHM. Sie hatte viel geweint, wenn er keine Zeit für sie hatte, wenn er nur kurz vorbeikam, um eine Runde „Spaß“ mit ihr zu haben und danach gleich wieder ging.
Manchmal habe sie sich selbst noch nicht einmal mehr „gespürt“, kein Gefühl mehr empfunden, nur noch den Gedanken an eine große Leere gehabt.

Und dann hatte sie eines Tages beim Waschen einen Knoten in ihrer Brust ertastet.

Warum Liane um alles in der Welt diese Entdeckung verheimlichte, warum sie nichts unternahm, keinen Arzt aufsuchte, nicht mit ihrem Geiger darüber sprach, das wird wohl ihr Teil der „Schuld“ sein und bleiben. Liane selbst meinte zu mir später, sie habe Angst gehabt, dass ihr Geliebter sie daraufhin verlassen könnte, Angst, dass er sie nicht mehr attraktiv finden würde, wenn sie krank sei. Sie habe auch Angst vor den Folgen, Angst vor der Krankheit selbst gehabt, denn jede Frau weiß, was es bedeutet, einen Knoten in der Brust zu ertasten.
Liane schwieg und versuchte, den Knoten zu verdrängen, zu verleugnen, zu vergessen, sie lebte, als sei er gar nicht da.

Einige Zeit später jedoch verschlechterte sich ihr körperlicher Zustand, der ja schon in der letzten Phase, als sie noch in Deutschland war, nicht mehr allzu gut gewesen war, weiter; sie muss so furchtbar ausgesehen haben, dass es nun endlich auch IHM auffiel.

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Foto: Rainer Sturm  pixelio.de